Samstag, 30. Oktober 2021

Wer ist mein Vater?

 

Anzug, Schaf, zittern, schnäuzen, blind
 
 


 
Wer ist mein Vater
 
 
Die Kinder der dritten Volksschulklasse schritten langsam durch den Mittelgang der kleinen Kirche. 
Jedes von ihnen trug in der linken Hand eine geschmückte Ähre und in der rechten ein Körbchen mit Feldfrüchten. Diese stellten sie vor dem Altar ab, machten ein Kreuzzeichen und gingen langsam zu ihren Bänken. Die Mädchen links, die Buben rechts. 
Fritz, der als erster seine Bank erreichte, schlüpfte bis ans Ende und wäre beinahe hinausgefallen, denn Karl der Sohn des Bürgermeisters schubste ihn und flüsterte: " Bastarde, die nicht mal ihren Vater kennen, haben in der Kirche nichts verloren." 
Fritz presste die Lippen zusammen und ballte die Fäuste. Am liebsten hätte er diesen arroganten Schnösel eine reingehauen und seinen feinen Anzug zerrissen. Doch sie befanden sich in der Kirche und er wollte auch seiner Mutter, die ganz allein in der letzen Bank saß, keinen Kummer machen. 
Nach der Kirche gingen Mutter und Sohn zum Sonnenwirt. Die beiden Wirtsleute waren sehr nett und die einzigen, die der ledigen Mutter einen Job als Kellnerin gegeben hatten. 
Doch vorher durften die beiden noch in der Küche zu Mittag essen, die Mutter packte dann noch von dem guten Essen für den Gemeindeschäfer etwas in einen Topf. Laut Vereinbarung der Gemeinde musste jeder Bewohner einmal ein Mittagessen für den Schäfer bereiten. Und die vom Sonnenwirt waren nicht nur die besten, sondern auch die größten Portionen. 
 

 
 
Fritz lief sofort los, um seinem besten Freund, die Leckereien zu bringen. Als er auf die Gemeindewiese kam, war von seinem Freund  nichts zu sehen. Der Junge lief die drei Holzstufen zum Schäferkarren hoch, stellte den Korb auf den Tisch und setzte sich dann auf die unterste Stufe um zu warten. 
Wieder dachte er an Karl und Tränen traten ihm in die Augen. Wer war sein Vater, wenn er die Mama fragte, dann sagte sie nur, dass er stolz auf seinen Vater sein könnte und vielleicht käme er ja eines Tages nach Hause und sie würden sich kennen lernen. 
"Was ist los meine Junge?"
Blind vor Tränen sah der Fritz zu seinem alten Freund hoch. Ein Taschentuch erschien vor seinem Gesicht. 
" Schnäuz dir erst mal die Nase, dann erzähl mir, was dich bedrückt." 
 
 

 
Der Schäfer stellte das zitternde Schaf auf den Boden und gab ihm einen Klaps auf das Hinterteil. 
"Lauf zur Herde du Ausreißer. Musste es suchen, hatte sich in einem Gebüsch verhedert, das dumme Ding,"  bummte er. 
Nachdenklich betrachtete er den Jungen. " Was hast du für einen Kummer ?" 
Und nun vertraute Fritz Hinrich seinen Kummer an, dass er so gerne wüsste wer sein Vater wäre, dass er sich nach ihm sehnte, doch wenn er die Mutter fragte sagte sie nur, dass er stolz auf seinen Vater sein könnte. Aber warum hatte er ihn dann im Stich gelassen, wenn er so ein toller Mensch war. 
Hinrich legte die Hand auf die geballten Fäuste des Jungen. 
"Ich denke er hat dich nicht im Stich gelassen, vielleicht wusste er gar nichts von dir." 
"Jetzt braucht er es auch nicht mehr zu wissen, ich pfeife auf ihn. Hinrich willst du denn nicht mein Vater sein.?" 
Der alte Mann lachte," dazu bin ich schon zu alt, aber wie wäre es mit einem Großvater." 
Spät am Abend saß der alte Mann in seinem Karren und hielt einen Brief in der Hand. Vor einigen Monaten war er gekommen, die Adresse dürfte noch stimmen. Zeit dass sein Sohn endlich nach Hause kam, er wurde hier gebraucht. Er hatte immer schon geahnt, dass Fritz sein Enkel war, aber da Annamierl nicht darüber reden wollte, hatte er es aktzeptiert und sich um die beiden gekümmert. Nun aber musste sein Sohn endlich erfahren, dass er Vater war und Verantwortung hatte. 
Er nahm den Stift und schrieb einen langen Brief. 
Eine Woche später hielt ein elegantes Auto vor der  Gemeindewiese und Vater und Sohn umarmten sich. Als Fritz nach der Schule Hinrich besuchte, staunte er, einen fremden Mann vorzufinden. 
Behutsam brachten die beiden Männer dem Jungen bei, dass es sein Vater war. 
Fritz schwieg eine Weile, dann strahlte er den alten Hinrich an. " Dann bist du ja wirklich mein Großvater. Der alte Mann lachte. " Das freut dich wohl mehr, als endlich deinen Vater kennen zu lernen." 
Mit einem verlegenen Grinsen zuckte Fritz die Schultern. " Ich kenn ihn ja noch nicht ." Sein Vater strich ihm durch das Haar, " das wird sich ändern, aber nun komm, wir wollen deine Mutter überraschen." 
Bei der Hochzeit seiner Eltern trug Fritz einen Anzug der viel schöner war, als der von Karl. Sein Vater aber, der in der Fremde viel Geld verdient und gespart hatte, kaufte einen Bauernhof. Und aus Fritz, dem verachteten Bastard wurde nun der Sohn des reichsten Bauern im Ort.

(c) Lore Platz

Sicher wollt ihr wissen was Regina und Martina zu den Wörtern eingefallen ist

5 Kommentare:

  1. Meine liebe Lore, es ist einfach bewundernswert, wie du es immer wieder schaffst, jeder Geschichte ein gutes Ende zu verschaffen. - Ach, wäre es doch im Leben immer so! - Danke dir und liebe Grüße! Martina

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  2. Wie Martina schon sagt, einfach wunderbar, Deine positive Lebenseinstellung. In deinen Geschichten ordnest Du stets das Leben.
    So hat auch des Lesers Seele am Ende ein Lächeln im Gesicht.
    Hier war ja schon der Großvater ein super Gedanke, aber es geht bei Lore besser.
    Liebe Grüße

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  3. Hallo Lore, da passt es wieder das Sprichwort: was lange wärt, wird endlich gut. Liebe Grüße, Roswitha

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  4. Herrlich Lore. Gut, daß Deine Geschichten immer so enden wie sie enden!

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  5. Liebe Lore,
    wenn ich Deine Geschichten lese, dann sehe ich die Personen immer vor mir. Ja, Deine Geschichten sind filmreif. Und das Happyend fehlt auch nicht. Das macht glücklich :-).
    Ich wünsche Dir eine gute Woche und schicke Dir herzliche Grüße
    Astrid

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