Donnerstag, 9. März 2023

Kleine Geste, große Wirkung Erinnerungsgeschichte





Kleine Geste, große Wirkung


Früher war alles besser, das sagt man oft, weil man vielleicht auch im Rückblick alles ein wenig verklärter sieht.
Aber ich habe noch eine schöne Erinnerung an den
Tante Emma“ Laden, in den meine Mutter mich immer schickte. 
Die alte Frau mit der altmodischen Frisur und der großen Schürze war immer freundlich und wenn ich dann den Zettel meiner Mutter hin geschoben habe mit dem abgezählten Geld, dann schenkte sie mir ein freundliches Lächeln.
Während die alte Frau, deren Namen ich leider vergessen habe, alles zusammensuchte ließ ich meinen Blick im Laden herum schweifen.
Es gab soviel zu sehen, all die Dosen, Gläser und geheimnisvolle Päckchen die in den Regalen aufgereiht waren.
Und über allem lag ein wunderbarer Duft.
Eine Mischung aus Gewürzen und frischem Brot.





Wenn ich dann das Einkaufsnetz in die Hand gedrückt bekam, durfte ich noch in das große Glas neben der Kasse greifen und mir ein Bonbon herausangeln.
Am liebsten mochte ich die klebrigen Dinger, die aussahen wie eine rote Himbeere.
Wie auf Wolken schwebte ich dann aus dem Laden.
Und wenn ich einmal zu wenig Geld dabei hatte, durfte ich es am nächsten Tag bringen.
Der Betrag wurde in einem großen Heft dann
eingetragen.
Meist schickte mich meine Mutter aber sofort wieder los, denn sie mochte keine Schulden.





Heute wäre das doch undenkbar.
Stellt euch mal vor, ihr steht in einem großen Supermarkt, eine Schlange hinter euch und stellt beim Bezahlen fest, ihr habt zu wenig Geld dabei.
Dazu möchte ich euch eine kleine Geschichte erzählen.

Gleich nach Schulabschluss fing ich in einer großen Versicherung an zu arbeiten.
Ich kann mich noch genau an meinen ersten Arbeitstag erinnern.
Nachdem ich mich bei meinem neuen Chef vorgestellt hatte, führte er mich in ein Büro mit sechs Schreibtischen und stellte mich meinen zukünftigen Kollegen vor.
Auf einem der Schreibtische stapelten sich die Kontoauszüge, da der ältere Herr, der für die Ablage zuständig war, gerade Urlaub hatte.
Dorthin musste ich mich setzen und die Kontenblätter einzeln in Einhängeordnern ablegen.
Nebenbei wurde ich auch noch von meinen Kollegen als Bürobote eingesetzt und sie schickten mich im ganzen Haus herum.
Da ich extrem schüchtern war und bei der kleinsten Kleinigkeit rot wie eine Tomate wurde, fiel es mir nicht immer leicht und vor allem fehlte mir noch das nötige Sachwissen, wenn ich in einer anderen Abteilung etwas zu klären hatte.

Lehrjahre sind keine Herrenjahre, wie mein Vater immer zu sagen pflegte.
In der Mittagspause lief ich alleine durch die Straßen, da ich ja niemand kannte und einmal auf dem Rückweg zur Arbeit, ging ich in einen Supermarkt.



Ich reihte mich mit meinem Obst in der Schlange vor der Kasse ein.
Vor mir stand eine ältere Dame und die Kassiererin tippte eifrig die Waren ein.
Die Dame zählte das Geld und stammelte verschämt:
Ich habe eine Mark zu wenig dabei.“
Die Schlange hinter mir scharrte ungeduldig mit den Füßen, die Kassiererin blickte leicht genervt und die alte Dame war furchtbar verlegen.
Spontan öffnete ich meinen Geldbeutel und drückte der völlig verdutzten Frau ein Markstück in die Hand.
Hier nehmen sie bitte!“
Sie sah mich überrascht an, dann lächelte sie strahlend, bedankte sich herzlich und es konnte weiter gehen.
Einen Apfel essend schlenderte ich zurück in die Firma.
Auf meinem Schreibtisch lagen schon wieder einige Akten mit Anweisungen meiner Kollegen.
Ich nahm den Stapel auf den Arm und machte mich auf den Weg durch das sechsstöckige Gebäude.
Doch heute war alles irgendwie anders.
In jedem Zimmer grinsten mich meine Kollegen freundlich an, dass ich schon dachte, mir wäre eine zweite Nase gewachsen.

Erst im sechsten Stock, als ich das Zimmer einer Kollegin betrat, die sehr nett war und mit der ich mich gerne unterhielt, klärte sich die Sache auf.
Die Frau, der ich das Markstück gegeben hatte, war eine langjährige Mitarbeiterin der Firma und kannte mich vom sehen, während ich keine Ahnung hatte.
In Windeseile hatte sich meine spontane Tat in der Firma herum gesprochen und seit dieser Zeit war ich Eine von ihnen.
17 Jahre arbeitet ich in dieser Firma und blieb bis zur Geburt meiner Tochter und arbeitete gerne dort.
Nur als ich später selber Lehrlinge ausbilden durfte, habe ich sie nicht nur als Büroboten benutzt.

© Lore Platz