Dienstag, 22. Januar 2019

Einmal Himmel und zurück

Habe mich gestern geärgert, denn durch die Rentenerhöhungen der letzten Jahre muss ich auf einmal meine Rente versteuern.
Ich werde dieses Jahr 70 und hatte eigentlich gedacht mich nie mehr mit nervenaufreibendem Papierkram rumschlagen zu müssen.
Aber die Bürokraten werden noch an meinen Sargdeckel klopfen und fragen:
"Frau Platz haben sie etwas zu verzollen oder zu versteuern, bevor sie in den Himmel eintreten?" 
Aber wie heißt es so schön, nicht ärgern nur wundern.
Freut euch lieber an meiner Geschichte. 
Viel Spaß beim Lesen!
 
(c) Peter S.

 
Einmal Himmel und zurück


Anna stand vor der Tür der kleinen Bergpension und genoss den Ausblick.
Als sie vor fünf Tagen hier ankam, war sie verzweifelt und total unglücklich und ihr Leben ein einziger Scherbenhaufen.
Doch die herrliche Landschaft, die Freundlichkeit der Menschen und ihre täglichen einsamen Wanderungen in die herrlichen Bergen, hatten sie viel ruhiger werden lassen.
Außerdem war sie, als sie einen verwundeten kleinen Falken gefunden hatte und ihn, in ihre Jacke gewickelt, ins Tal brachte, dem hiesigen Tierarzt Jochen Berner begegnet und seine liebevolle Art mit dem Tier umzugehen hatte eine Seite in ihr zum klingen gebracht.
Hinter ihr trat die mollige Pensionswirtin aus der Tür.
Fräulein Anna, ich habe ihnen eine Brotzeit gerichtet und eine Thermoskanne mit Kaffee, hell und süß, wie sie ihn mögen.“
Dankend nahm die junge Frau die Kanne und die eingewickelten Brote und verstaute sie in ihrem Rucksack.
Die Wirtin drückte ihr nun noch einen Plan in die Hand.
Hier sind die Schutzhütten verzeichnet, versuchen sie immer in deren Nähe zu bleiben, denn das Wetter schlägt schnell um in den Bergen.
Anna schulterte ihren Rucksack und mit einem Gruß ging sie den Abhang hinunter und dann hinauf Richtung Gogelalm.


Einige Stunden wanderte sie nun schon in der sengenden Hitze, ließ sich dann an einem Felsen nieder und machte Brotzeit.
Tief aufatmend schweifte ihr Blick umher und plötzlich fiel ihr auf, dass die Vögel verstummt waren und auch sonst lähmende Stille herrschte.
Dunkle drohende Wolken türmten sich am Himmel und ein heftiger Wind brachte die Bäume und Gräser zum Zittern.
Anna faltete den Plan auseinander, um die nächste Schutzhütte zu suchen, doch der Sturm der jetzt aufbrauste, riss ihr das Blatt aus der Hand, spielte mit ihm und trieb es wild aufheulend vor sich her.
Das Mädchen raffte ihre Sachen zusammen und rannte los.
Bald bemerkte sie, dass sie sich vollkommen verirrt hatte.
Ein Poltern hinter ihr ließ sie umschauen und entsetzt sah sie, wie Geröll und Steine sich vom Berg lösten und direkt auf sie zukamen.
Mehr schlitternd als rennend lief sie den Weg nach unten, das Tosen hinter ihr nahm kein Ende.
Dann spürte sie einen harten Schlag auf dem Kopf und um sie war Schwärze.

Stimmen und Licht umgab sie und sie fühlte sich wie in Watte gepackt.
Dann hörte sie einen entsetzten Aufschrei:
Herzstillstand, wir verlieren sie!“
Eine andere Stimme brüllte: „Reanimieren!“
Anna aber fühlte sich sehr glücklich und sah sich plötzlich in einem Tunnel, an dessen Ende ein helles strahlendes Licht leuchtete.
Sie lief darauf zu und kam auf eine herrliche sonnenbeschienene Wiese voll leuchtender Blumen, von Bienen um schwirrt und Schmetterlingen um tanzt.
Kinder spielten und ihr fröhliches Lachen spiegelte sich auf den Gesichter der Erwachsenen die in Gruppen standen, oder im Gras bei einem Picknick saßen, wider.
Anna sah an sich herunter und stellte fest, dass sie anstatt der Krankenhauskleidung nun ihre Jeans und ein T-Shirt trug.
Langsam ging sie über die Wiese, grüßte freundlich die Menschen um sie herum, die fröhlich zurück grüßten, dann sah sie, wie sich zwei alte Leute aus einer Gruppe lösten und auf sie zu eilten.
Oma, Opa!“ jubelte sie und bald hielten die drei sich umfangen.
Ihre Großeltern führten sie auf eine Bank und nun musste Anna erzählen von den Eltern daheim und was ihr passiert ist.
Ein bisschen jung bist du, um schon hier bei uns zu sein,“ brummte der Großvater.
Anna sah sich glücklich um.
Es ist so wunderschön hier und ich fühle mich so wohl, wie schon lange nicht mehr.“
Eine Weile schwiegen alle drei, dann meinte ihre Oma.
Hast du dich schon angemeldet?“
Muss man sich denn anmelden?“
Der Opa kicherte: „Auch der Himmel bleibt nicht verschont von der Bürokratie.“
Die beiden Alten nahmen nun ihre Enkelin in die Mitte und führten sie zu einem großen weißen Gebäude.
An einer Tür stand Anmeldung und sie reihten sich in die lange Schlange ein.
Ein hübsches rothaariges Mädchen auf Rollschuhen brachten ihnen auf einem Tablett Getränke und etwas skeptisch besah sich Anna in ihrer Tasse die farblose Flüssigkeit.
Was ist das?“
Probiere!“ lachte die Oma.
Hm, das ist ja Kaffee so wie ich ihn liebe!“
Ja, hier im Himmel kann man essen und trinken was man sich wünscht,“ meinte ihre Oma fröhlich.
Nur mein geliebtes Bier nicht, denn im Himmel ist Alkohol verboten,“ brummte der Opa, zwinkerte aber seiner Enkelin fröhlich zu.
Endlich dürfen sie in das große Büro treten.
An einem Schreibtisch saß ein Mann mit einer riesigen Brille auf der Nase und schaute in ein großes aufgeschlagenes Buch.
Name?“ fragte er kurz angebunden.
Anna Möller!“
Der Engel runzelte die Stirn und suchte die Listen rechts und links ab, blätterte rückwärts und vorwärts, dann hob er den Kopf und sah Anna an.
Ich kann sie nicht finden, welcher Engel hat sie herauf begleitet?“
Ich bin allein gekommen.“
Einen finsteren Blick auf sie werfend wendete sich der Mann an den Jungen hinter ihm, der an einem Computer saß.
Gib den Namen ein.“
Die Finger des Jungen fuhren flink über die Tasten und Anna sah ihr Bild auf dem Bildschirm erscheinen.
Sterbetag 12. Oktober 2074,“ schnarrte das Bürschlein.
Sie sind sechzig Jahre zu früh gekommen, sie müssen sofort zurück.“
Streng sah der Büroengel das junge Mädchen an.
Der Opa aber hatte sich leise hinter den Jungen am Computer geschlichen.
Plötzlich wurde das Bild auf dem Apparat schwarz und der Jüngling drehte sich um und warf dem alten Mann einen finsteren Blick zu.
Annas Opa grinste, er hatte genug gesehen.
Der Aufnahmeengel aber drückte eine Taste und sprach in den kleinen Apparat: „Welcher Engel ist gerade frei, er muss ein Mädchen zurück begleiten.“
Doch Annas Großvater legte seine riesige Pranke auf die feingliedrigen Finger des Mannes und meinte:
Wir werden unsere Enkelin selbst zum Tunnel begleiten.“
Der Engel sah ihn kurz an, dann sprach er in das Sprechgerät. „ Hat sich erledigt!“
Die alten Leute führten Anna nach draußen und setzten sich auf eine Bank.
Ich möchte nicht gehen, hier ist es so schön und friedlich und zum ersten Mal seit langem fühle ich mich wieder froh und frei. Mein Leben ist zur Zeit ein einziges Chaos. Mein Freund ist nach vier Jahren ausgezogen, weil er mich nicht mehr lieb hat. Ich muss mir eine kleinere Wohnung suchen, weil ich die Miete nicht bezahlen kann und mein Job füllt mich auch nicht aus. Lasst mich doch hier bleiben!“
Liebevoll strich ihr die Oma über die Locken.
Du hast ja gehört, du bist sechzig Jahre zu früh gekommen. Bist du denn nicht neugierig was das Leben dir noch bietet. Nach Regen kommt Sonnenschein! Und denk doch an deine Eltern, wie traurig sie sind, wenn sie ihr einziges Kind so früh schon verlieren.“
Anna senkte beschämt den Kopf.
Der Opa aber meinte schmunzelnd:
Ich habe doch ein wenig in deiner Akte gelesen bis der verdammte Bas...!“ „Ferdinand!“
Ja, ja, ich weiß wir sind im Himmel, Fluchen und Schimpfwörter verboten.“
Anna sah wie ihr Opa leicht errötete und grinste.
Dieser aber zwinkerte ihr zu und fragte ganz harmlos:
Kennst du jemanden, der Jochen heißt?“
Nun errötete Anna und verlegen erzählte sie von dem jungen Tierarzt, den sie vor kurzem an ihrem Urlaubsort kennen gelernt hatte.
Ferdinand Möller aber lehnte sich behaglich zurück und erzählte den beiden Frauen was er in der Akte von Anna lesen konnte.
Anna würde den Jochen Berner heiraten, vier bezaubernde Kinder bekommen, eine Schar Enkelkinder und genauso eine lange und glückliche Ehe führen wir ihre Großeltern.
Ist das kein Grund zurück zu gehen?“ beendete der alte Mann schmunzelnd seinen Bericht.
Anna strahlte und sprang auf.
Sich an den Händen haltend liefen die drei nun los.
Mit dem Rücken zum Tunnel stand das Mädchen da und umklammerte die Hände ihrer Großeltern.
Sie konnte sich nicht trennen.
Ein Ruck ging durch ihren Körper, die Hände entglitten ihr und sie wurde in den Tunnel gezogen.
Ihre Großeltern wurden immer kleiner, bis sie ganz verschwanden.

Gott sei dank, wir haben sie wieder!“ hörte das Mädchen eine Stimme und öffnete die Augen.
Das weiße sterile Krankenzimmer war voller Menschen. Ärzte und Schwestern standen mit erleichterten Gesichtern um ihr Bett.
Im Hintergrund sah sie ihre Eltern, denen die Tränen über das Gesicht liefen und hinter ihnen war Jochen.
Sie bemerkte die Liebe, aber auch die Angst in seinen Augen und Anna lächelte, schloss die Augen und schlief dem Leben entgegen.


© Lore Platz