Mittwoch, 2. September 2020

Plauderecke



 
 In einem Kindergarten wurde ein Projekt gestartet. Da konnten die Kinder einige Schmetterlinge von den Eiern über die Verpuppung  bis zum Ausschlüpfen der Distelfalter beobachten. Als ich hörte, wie sehr die Kinder sich freuten, als die Schmetterlinge dann freigelassen wurden, da überlegte ich wieder einmal, wie wenig Kinder doch brauchen, um glücklich zu sein.
Das Thema Kinderarmut in unserem Land beschäftigt mich schon seit vielen Jahren , als ich den Artikel "Kinderarmut", ihr könnt ihn unten lesen, in einem Forum veröffentlichte, schrieb mich eine Bloggerin aus Argentinien an, ob sie diesen in ihrem Blog natürlich unter meinem Namen veröffentlichen dürfte. Ich habe es  ihr erlaubt. Das ist nun schon einige Jahre her.


Neulich hatte ich ein Gespräch mit einer Bekannten, über die Kinderarmut, die in Deutschland immer mehr zunimmt.
Doch wo beginnt Armut und was braucht ein Kind,
Essen, Kleidung und vor allem Sicherheit und Liebe?
Meine Bekannte meinte grimmig:
Es gibt keine armen Kinder, nur faule Mütter!“
Nun so pauschal darf man das nicht sehen, oder?
Ich will mir hier kein Urteil erlauben, aber wenn ich zurückdenke an meine, nach heutiger Ansicht wohl arme Kindheit, dann kann ich nur sagen ich habe es nie so empfunden.
Mein Vater hatte sein Erbe durch die Inflation verloren, meiner Mutter wurde ihre gesamte Aussteuer unterwegs im Zug gestohlen.
Meine Eltern fingen mit nichts an.
Die ersten Möbel zimmerte mein Vater aus leeren Bierkisten.
Wir hatten immer genug zu essen, weil meine Mutter aus nichts wunderbare Gerichte zaubern konnte, Kartoffeln waren immer da und Fleisch gab es nur sonntags,wenn überhaupt.
Spielzeug gab es nicht, aber wir hatten die Natur als Spielplatz und aus Sand und Wasser konnte man wunderbare Kuchen zaubern, mit denen wir dann verkaufen spielten. Wir waren glücklich.
Denn wir hatten Eltern, die uns liebten und uns Geborgenheit schenkten.
Ich erinnere mich, dass ich einmal eine Klassenfahrt nicht mitmachen konnte, weil meine Eltern das Geld dafür nicht hatten. Aber ich fühlte mich deshalb weder arm noch ausgegrenzt.
Vielleicht liegt heute die Latte zu hoch, was der Mensch braucht, um nicht als arm zu gelten.
 
Da ich alles in Geschichten verarbeite was mich bewegt, habe ich auch zu diesem Thema mir etwas ausgedacht.





Gloria saß auf ihrem Sofa und baumelte lustlos mit den Beinen. Sie trug ein hübsches weißes Kleid,ihre dunkelblonden Locken wurden von einem roten Band gehalten und rote feine Lachschuhe zierten ihre Füße.
Gelangweilt glitt ihr Blick durch das Zimmer, über die hübschen weiß lackierten Möbel, das große Puppenhaus mit dem echten elektrischem Licht, die vielen wunderschönen Puppen, die aufgereiht auf einem Puppensofa saßen, die große Kiste mit Spielsachen. Man hatte den Eindruck als wäre man in der Spielzeugabteilung eines großen Kaufhauses.
Gloria sprang auf und verließ das Zimmer.
Aus dem Salon drangen Stimmen und das Mädchen schlüpfte durch die Tür und stellte sich neben ihre Mutter die mit ihrem Freundinnen Kaffee trank.
Unwillig sah diese auf.
Was willst du?“
Mir ist so langweilig!“
Frau Baumann verdrehte die Augen und meinte zu ihren Freundinnen gewandt.
Dieses Kind hat das ganze Zimmer voller Spielzeug und beklagt sich über Langweile.“
Die jungen Frauen lachten und Gloria wurde rot.
Stirn runzelnd wandte sich ihre Mutter an das Mädchen.
Nun geh spielen, du siehst ja ich habe kein Zeit, du störst.“
Mit gesenktem Kopf verlässt das Kind das Zimmer.
Aus der Küche drang Stimmengewirr, Lachen und Töpfe klappern.
Gloria schlängelte sich durch die Tür.
Eines der Küchenmädchen sah sie und rief:
Was willst du hier, du bist im Weg, außerdem wenn die Gnädige das sieht, dann wird sie sehr ungnädig.“
Die anderen lachten und Gloria schlich sich hinaus.
Mit Tränen in den Augen ging sie über die Terrasse in den Garten.
Sie fühlte sich so schrecklich einsam.
Am Ende des Gartens sah sie eine Bewegung und schnell lief sie hinüber.
Ein Mädchen in Jeans sprang gerade über den Zaun und ihr Pferdeschwanz wippte fröhlich auf und ab, als sie auf dem Boden aufkam.
Wer bist du?“
Erschrocken sah das Mädchen auf und wurde leicht verlegen.
Hanna, bitte verrate mich nicht.“
Warum bist über den Zaun geklettert?“
Das Mädchen wurde etwas rot: „ ich wollte einige der Äpfel aufklauben, die hier am Boden liegen.“
Was willst du denn damit?“
Mein Mutter hat Morgen Geburtstag und ich will ihr einen Apfelkuchen backen.“
Kannst du das denn ?“
Hanna lachte.
Ich bin doch schon zwölf! Weißt du mein Papa ist vor zwei Jahren gestorben und meine Mutter muss jetzt immer soviel arbeiten, da helfe ich im Haushalt soviel ich kann.“
Ich bin acht Jahre, aber ich kann gar nichts und kochen und backen macht unsere Köchin und die Küchenmädchen. Mein Papa ist immer in der Arbeit, aber Mama muss gar nicht arbeiten. Sie muss nur mit ihren Freundinnen Kaffee trinken oder einkaufen gehen.“
Ihr seid ja auch reich.“
Gloria hob die Schultern. Dann lächelte sie.
Wie viele Äpfel brauchst du denn für den Kuchen.“
Fünf.“
Gloria bückte sich und reichte ihr die Äpfel, die Hanna in die Jeanstaschen und oben in ihr Hemd stopfte.
Danke, weißt du was, ich komme Morgen und bringe dir ein Stück von meinem Kuchen.“
Das wäre schön! Aber nicht über den Zaun, klingle an der Tür.“
Am nächsten Tag, trieb sich Gloria immer wieder in der Nähe der Tür herum und wartete sehnsüchtig auf ihre neue Freundin.
Endlich klingelte es und das Dienstmädchen öffnete die Tür, betrachtete das einfach gekleidete Mädchen und meinte naserümpfend: „Betteln ist hier verboten.“
Da drückte sie Gloria zur Seite.
Das ist meine Freundin Hanna.“
Achselzuckend verschwand das Dienstmädchen und
Gloria zog Hanna in die Halle.
Diese sah sich staunend um.
Das ist ja größer, als unsere ganze Wohnung.“
Bald standen sie in Glorias Zimmer und wieder staunte Hanna über die Reichtum und Pracht.
Und trotzdem wunderte sie sich, dass ihre neue Freundin so traurig war und sie sprach ihren Gedanken laut aus.
Die Kleine zuckte die Schultern.
Ich habe alles was ich mir nur wünsche, aber niemand hat Zeit für mich. Mein Vater ist in seiner Fabrik, oder auf Geschäftsreise, meine Mutter hat immer Besuch und dem Personal bin ich immer im Wege. Sonst kümmert sich meine Hauslehrerin um mich, aber da Ferien sind, ist sie verreist.“
Mitleidig setzte sich Hanna neben Gloria und legte ihr den Arm um die Schulter.
Jetzt hast du ja mich, darf ich deine Freundin ..., oh nun hätte es beinahe vergessen, ich habe dir was mitgebracht.“
Sie zog aus ihrer Hosentasche ein etwas zerdrücktes Päckchen.
Mein selbst gebackener Kuchen.“
Gloria biss ein Stück von dem etwas zerquetschtem Gebäck ab und meinte noch nie so etwas köstliches gegessen zu haben.
Der ist aber lecker und den hast du ganz allein gebacken, hat deine Mutter sich sehr gefreut?“
Hanna nickte glücklich und nun erzählt sie, wie tapfer ihre Mutter ist und viel arbeiten muss, seit Papa tot ist. Aber sie erzählt auch wie sie ihr soviel wie möglich im Haushalt hilft. Ach und wie froh diese immer ist, wenn sie nach Hause kommt und alles aufgeräumt und das Abendbrot auf dem Tisch steht und wie ihre Mutter sie immer mein kleines Hausmütterchen nennt. Und abends kuscheln sie auf dem Sofa, erzählen was sie tagsüber erlebt haben, dann zeigt sie noch ihre Hausaufgaben und sie lesen sich abends gegenseitig vor.
Gloria aber laufen die Tränen über das Gesicht.
Deine Mama hat dich so lieb und meine liebt mich gar nicht.“
Unsinn! Deine Mutter hat dich lieb, sonst würde sie dir doch nicht all dies her schenken.“
Aber ich bin doch immer so allein.“
Das bin ich doch auch, weil meine Mutter den ganzen Tag arbeiten muss. Weißt du was, ich werde dich jeden Tag besuchen und dann spielen wir zusammen.“
Gloria nickt glücklich.

© Lore Platz