Ich
bin noch keine siebzig Jahre und doch hat sich vieles seit meiner
Kindheit verändert. Und die Erinnerungen der Oma in meiner Geschichte
sind meine eigenen.
Viel spaß beim Lesen!
Oma erzähl mir von früher
Schwungvoll
nahm Ilse die Kurve und bog in den Gartenweg ein, dabei ließ sie
fröhlich die Fahrradklingel ertönen.
Vor
der Garage stellte sie das Rad ab und nahm ihre Schultasche.
Ihre
Eltern waren verreist und deshalb war die Oma da, um auf sie und
ihren Bruder aufzupassen.
Ilse
freute sich, denn viel zu selten sah sie ihre geliebte Oma, da diese
sehr weit weg wohnte.
Lächelnd
sah Frau Wegner auf, als das Mädchen in die Küche stürmte.
„ Hallo
Oma, ich habe einen Bärenhunger!“
„Das
ist doch gut, sobald Lutz kommt können wir essen, ich muss nur noch
die Paradeiser schneiden, du kannst schon den Tisch
decken.“
„Oma?
Warum nennst du die Tomaten immer Paradeiser?“
„Meine
Mutter nannte sie immer so?“
„Aber
woher kommt dieses Wort?“
Die
Oma zuckte die Schultern.
„Das
kann ich dir erklären,“ meinte Lutz, der unbemerkt die Küche
betreten hatte.
„Ach
Mister Schlaumeier weiß es mal wieder, hätte ich mir denken
können,“ spottete Ilse, die etwas neidisch auf ihren Bruder war,
weil der schon ins Gymnasium ging, während sie erst in der
Grundschule war.
„ Bei
der Wiener Weltausstellung 1873 wurden die Tomaten zum ersten Mal in
Europa gezeigt und die Österreicher nannten sie Paradeiser. Das Wort
ist wohl abgeleitet von Paradiesapfel. Kam Uroma Mathilde nicht aus
Österreich“
„Und
warum nennen wir sie Tomaten?“
„Nach
Deutschland kamen die Tomaten erst sehr spät, in den fünfziger
Jahren und der Name leitet sich von von dem asketischen Wort
'xitomatl' ab, 200 Jahre vor Christus haben die
Maja die Pflanze schon kultiviert, denn man hat bei Ausgrabungen
Samen gefunden.
Aber nun hab ich Hunger, außerdem muss ich zum Fußballtraining.“
Aber nun hab ich Hunger, außerdem muss ich zum Fußballtraining.“
Ilse
half der Oma nach dem Essen die Küche sauber zu machen und während
diese dann ihr Mittagsschläfchen hielt, machte sie ihre
Hausaufgaben.
(c) Elli M. |
Später setzten sie sich in den Garten auf die Bank und das Mädchen kuschelte sich an die alte Frau.
„Oma,
erzählst du mir von früher?“
„Was
möchtest du denn wissen?“
„ Wie
du gelebt hast, als du so alt warst wie ich. Aber warte Oma, ich hol
mir schnell was zu trinken, möchtest du auch etwas?“
Die
alte Frau schüttelte den Kopf.
Lächelnd
sah sie zu wie Ilse vorsichtig die Limonade in das Glas
schüttete.
„Als
ich noch ein Kind war gab es keine Limonade. Meine Mutter machte im
Sommer immer einen großen Krug Leitungswasser mit einigen Spritzern
Essig und Zucker.“
Ilse
verzog etwas das Gesicht.
„ Oh,
das schmeckte lecker. Zitronen kannten wir damals noch nicht, es war
ja kurz nach dem Krieg und meine erste Tomate bekam ich zu sehen, da
war ich schon vierzehn. Und als ich zehn war, da lernte ich die
Schokolade kennen.
Tante
Leni, die im Saarland lebte, das nach dem Krieg noch unter
französischer Verwaltung stand, hat uns diese Köstlichkeit
geschickt und meine Mutter hat die Tafel unter uns drei Geschwistern
aufgeteilt.
Ich
hütete meinen in Staniolpapier gewickelten Schatz und jeden Tag
brach ich ein Stückchen ab, suchte mir eine ruhige Ecke und ließ
die Köstlichkeit ganz langsam auf der Zunge zergehen.
Das
war himmlisch.
Weißt
du eigentlich, dass ich als Kind ein großer Angsthase war?
Einen
Kühlschrank gab es ja damals noch nicht. Deshalb wurde alles
eingemacht und im Keller verstaut. Bohnen, Birnen und Äpfel,
Marmelade, selbst das Sauerkraut machte meine Mutter selbst.
In
dem Haus, in dem wir wohnten gab es einen sehr dunklen kalten
Keller. Ich hatte immer eine Heidenangst wenn ich dort hinunter
musste. Die schwache Glühbirne, erhellte nicht, sondern machte alles
nur noch gruseliger. Ich meinte immer, dass die Schatten an der Wand
sich bewegten.
Bereits
auf der ersten Stufe begann ich laut zu singen, um die Gespenster zu
vertreiben.“
Ilse
kicherte und auch die Oma musste schmunzeln.
Versonnen
blickte sie vor sich hin, bevor sie weiter berichtete.
„ Mein
Schulweg war sehr lang und da ich eine Trödelliese war schickte mich
meine Mutter immer früher weg und trotzdem musste ich das letzte
Stück meistens laufen, damit ich nicht zu spät kam.
Es
gab aber auch immer so viel unterwegs zu sehen. Besonders fasziniert
hat mich der Eiswagen.“
„Lecker,
meine Lieblingseis ist Walnusseis.“
„Nein,
Speiseeis kannten wir noch nicht.
Mein Schulweg führte an einer Brauerei vorbei und jeden Mittwoch hielt dort ein Lastwagen. Ein kräftiger Mann, der eine Gummischürze trug, holte mit einem Haken ein großes rechteckiges Eisstück und warf es sich über die Schulter und ging damit die Stufen zur Brauerei hinauf.
Meist
kam ich an diesem Tag zu spät, was mir wieder Ärger einbrachte.
Die
ersten beiden Jahre hatte nämlich ich eine sehr strenge und
cholerische Lehrerin. Und oft bekam ich wegen der kleinsten
Kleinigkeit eine Ohrfeige oder was noch schlimmer war, mit dem
Zeigestock eins auf die Handfläche.
An
die Schulzeit habe ich keine glückliche Erinnerung,
aber sonst hatten wir eine schöne Kindheit. Die Wiese, der Wald und
auch die Straße waren unser Spielplatz und das fehlende Spielzeug
ersetzte unsere Fantasie.
Wir
waren bei jedem Wind und Wetter draußen.
Denn
unsere Mutter musste sehr viel arbeiten, gab es doch weder
Waschmaschine, Staubsauger oder elektrisches Bügeleisen.
Waschen
musste man alles mit der Hand. Ein Waschbrett wurde in die Wanne mit
Wasser gesteckt und dann die Wäsche darauf mit Kernseife geschrubbt.
Weißt du wie so ein Waschbrett aussah?
Um
ein gewelltes Blech war ein Holzrahmen gespannt und das waschen war
sehr mühselig. Deshalb trugen wir wohl auch immer Schürzen über
dem Kleid, weil die leichter zu waschen waren.
Meine
arme Mutter hatte sehr oft Kreuzschmerzen, aber ich hörte sie nie
klagen.
Das
Bügeleisen war ein schweres Eisengerät, das auf dem Ofen gewärmt
wurde und wenn es heiß war, wickelte man ein Tuch um den Griff und
bügelte die Wäsche.
Und
die Teppiche wurden über eine Stange geworfen und mit dem
Teppichklopfer bearbeitet, das staubte vielleicht.
Manchmal
wurde der Klopfer auch zweckentfremdet und tanzte auf dem
Allerwertesten eines unartigen Kindes. Ich habe es nicht erlebt, doch
ein Nachbarjunge. Aber der war ein frecher Rüpel und hat schlimme
Streiche gespielt und uns Mädchen immer geärgert. Ich habe es ihm
gegönnt.“
Frau
Wegner schmunzelte und auch Ilse kicherte und dachte an den frechen
Oskar in ihrer Klasse.
„Wir
hatten eine unbeschwerte
Kindheit und einen
riesengroßen Spielplatz, gab es doch noch kaum Autos, auch
noch nicht so viele Häuser
und noch keine Supermärkte.
In
unserem Dorfladen ging ich gerne einkaufen, durfte ich doch immer,
bevor ich ging in das große Bonbonglas greifen, und auf dem Heimweg
lutschte ich dann das nach Himbeere schmeckende Zuckerding.
Mein
Vater nannte den Laden immer spöttisch,
die „Ratschzentrale“ weil sich hier die Frauen trafen,
um den neuesten Dorfklatsch auszutauschen.
Es
war eine schöne Zeit. Wir hatten nicht viel, aber wir waren
zufrieden. Das einzige was ich ersehnte
war ein Buch, das mir ganz alleine gehörte. Denn ich hatte die
Freude am Lesen entdeckt.
Ich
war schon in der vierten Klasse, als ich zu Weihnachten ein Buch
bekam. Es hatte einen goldenen Umschlag und darin standen Märchen
aus der ganzen Welt.
Bisher
kannte ich ja nur die Märchen der Gebrüder Grimm. Aber nun tat
sich mir eine ganz neue Welt auf.
Dieses
Buch habe ich übrigens noch heute. Wenn du mal wieder zu Besuch
kommst, dann zeige ich es dir. Aber nun lass uns hinein
gehen,
es wird schon etwas frisch.
(c) Elli M. |
Was hältst du von einer schönen Tasse Kakao? Es muss auch noch etwas von dem Kuchen da sein, den ich gestern gebacken haben.“
In
diesem Moment kam Lutz mit dem Fahrrad an.
Ilse
kicherte. „Mein Bruder muss eine besondere Antenne haben, immer
wenn es was zu essen gibt, dann taucht er auf.“
Lachend
gingen die Beiden ins Haus.
©
Lore Platz 1.02.2019
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