(c) meine Tochter |
Als
er am nächsten Tag erwacht ist es noch dämmrig draußen.
Aber
er fühlt sich frisch und ausgeruht.
Schnell
springt er aus dem Bett, bückt sich und zieht das Paket hervor.
Vorsichtig
wickelt er die Geige aus der Decke und betrachtet sie staunend.
Wie
wunderschön sie ist.
Behutsam
fährt er mit der Hand über das Gehäuse und zupft ganz zart mit dem
Finger die Saiten.
Er
schlüpft in seine Jacke, wickelt die Geige wieder in die Decke und
klettert aus dem Fenster.
Es
ist noch sehr früh und das Dorf ist wie ausgestorben.
Arne
klopft an Pascals Fenster.
Das
verschlafene Gesicht des Jungen erscheint und verschwindet wieder.
Verzweifelt
klopft Arne noch einmal.
Die
Tür öffnet und sich und Pascal sieht ihn wütend an.
„Du
weckst ja meine Eltern auf. Was willst du?“
„Komm
mit, ich muss dir was zeigen!“
Pascal
knöpft sich seinen Mantel zu und folgt etwas misstrauisch dem
Jungen.
Arne
wartet unter der großen Kastanie in der Ortsmitte auf ihn.
Etwas
verlegen sieht er Pascal entgegen, dann sagt er ernst:
„Es
tut mit leid, dass ich deine Geige kaputt gemacht habe, es war dumm
und gemein von mir und ich danke dir, dass du mich nicht verraten
hast. Doch sieh mal,was ich in einer der Höhlen in den Klippen
gefunden haben.“
Er
wickelt das Instrument aus und Pascal bekommt kugelrunde Augen.
„Die
ist ja wunderschön,“ flüstert er ehrfürchtig und nimmt die Geige
in die Hand.
„Sie
ist vollkommen aus Glas, wie sie wohl klingt?“
„Spiel,“
flüstert Arne.
Pascal
stützt die Geige unterm Kinn ab und fährt
sachte
mit dem Bogen über die Saiten.
Er
zarter heller Ton erklingt.
Und
dann beginnt Pascal zu spielen, zuerst ein Menuett von Mozart, dann
einen Walzer von Johann Brahms und schließlich die Träumerei von
Robert Schumann.
Und
die Geige jauchzt, jubelt und singt und es ist als würden die Töne
zum Himmel aufsteigen.
Plötzlich
ist ein tiefes Grollen zu hören, als würde ein Gewitter aufziehen.
Ein
großer weißer Wolf taucht am Ortseingang auf und kommt auf sie zu,
die Lefzen zurückgezogen und aus seinen roten Augen schießen kleine
Blitze.
Die
beiden Jungen rücken ängstlich zusammen.
Auf
einmal steht Mutter Erde neben ihnen.
„Spiel
weiter Pascal!“
Und
obwohl sein Magen sich vor Angst verkrampft, lässt der Junge die
Geige singen und jubilieren und es ist als würde sie von selber
spielen.
Der
weiße Wolf bleibt stehen, setzt sich auf die Hinterläufe und
beginnt fürchterlich zu heulen.
Pascal
aber lässt sich nicht beirren, er spielt weiter.
Das
Heulen des Wolfes geht in ein Winseln über, er dreht sich um und
läuft davon.
„Wir
haben sie besiegt, wir haben die Eishexe besiegt!“ jubelt Mutter
Erde.
„Spiel
weiter mein Junge, spiele weiter, vielleicht weckst du meinen Sohn!“
Und
Pascal spielt und die Töne umschmeicheln das Land und der Schnee
beginnt zu schmelzen.
In
den Häusern ringsum gehen die Lichter an und die Menschen kommen aus
ihren Häusern.
Ein
Rauschen und Brausen ertönt und das Meer beginnt wilde Wellen zu
schlagen und aus den Fluten steigt ein junger schöner Mann.
Er
ist ganz in Grün gekleidet und in seinem langen goldbraunen Haar
sind Blumen geflochten.
Und
als er den Boden betritt, erblühen unter jedem seiner Schritte die
schönsten Blumen.
Die
Menge teilt sich, als er auf sie zu schreitet.
Er
verneigt sich vor Mutter Erde und diese nimmt ihn mit Tränen in den
Augen in den Arm.
Dann
wendet sie sich an die Menschen, die sie voller Staunen betrachten.
„Wir
alle waren in großer Gefahr. Die Eishexe wollte die Weltherrschaft
erringen und hat meinen Sohn, den Frühling gefangen genommen.
Zum
Glück konnte er auf der Flucht seine Zaubergeige verstecken.
Diese
beiden mutigen Jungen haben sie gefunden und zum Spielen gebracht und
so konnte der Bann der Eishexe gebrochen werden.“
„Hoch
Pascal, hoch Arne!“ rufen die Kinder und die anderen stimmen mit
ein.
Pascal
sieht zu seinen Eltern, die ihm mit Tränen in den Augen zulächeln.
Auch
Arnes Blick gleitet über die Menge, doch er kann sein Eltern
nirgends entdecken.
Der
Frühling aber beugt sich zu Pascal und streckt die Hand aus.
„Nun
werde ich weiter spielen und die Natur zum Leben erwecken.“
Fröhliche
Weisen spielend dreht er sich um und ringsum beginnt der Schnee
restlos zu schmelzen.
Alles
fängt an zu blühen und selbst an der großen Kastanie sprießen die
ersten Triebe.
Mutter
Sonne und ihre Töchter schieben mit ganzer Kraft die dicken Wolken
weg und senden ihr Licht und ihre Wärme auf die Erde.
Die
Leute jubeln und strecken ihre Gesichter der Sonne entgegen.
Mutter
Erde hebt die Hand und Stille tritt ein.
„Da
diese beiden tapferen Jungen uns alle aus einer großen Gefahr
gerettet haben, werde ich jedem einen Wunsch erfüllen. Nun Arne, was
wünscht du dir?“
Arne
senkt den Kopf und sagt so leise, dass nur Mutter Erde ihn verstehen
kann.
„Ich
habe nichts verdient.“
Mutter
Erde beugt sich zu ihm hinunter und flüstert:
„Durch
deine gute Tat hast du deinen Fehler wieder gut gemacht, aber ich
werde mir für dich einen Wunsch ausdenken.“
Sie
richtet sich auf und sagt.
„Unser
Arne ist noch so überwältigt, dass ihm gar nicht einfällt, also
werde ich mir für ihn etwas ausdenken.“
Alles
lacht.
„Und
was wünscht du dir denn Pascal?“ fragt Mutter Erde.
„Lass
dir dein lahmes Bein wegzaubern!“ ruft Arne.
Pascal
lächelt, dann sucht sein Blick seine Eltern und langsam schüttelt
er den Kopf.
„Nein,
ich habe mein lahmes Bein schon so lange und es stört mich nicht,
aber...“
Er
wendet sich an Mutter Erde und murmelt:
„ Ich
hätte so gerne eine neue Geige.“
Lächelnd
streckt Mutter Erde die Hand aus und hält auf einmal eine
wunderschöne glänzende Geige in den Händen und reicht sie an
Pascal weiter.
Sie
ist viel viel schöner als seine alte Geige und als er den Bogen
ansetzt, erklingen die Töne so zart und so rein.
Pascal
lacht fröhlich und beginnt eine übermütige Weise zu spielen und
die Menschen tanzen auf der inzwischen grünen blühenden Wiese.
Mutter
Erde aber wendet sich um und geht leise davon.
Nun
gibt es nicht mehr viel zu erzählen.
Arne
und Pascal wurden die besten Freunde.
Und
wehe, einer schaute Pascal nur schief an, dann war Arne schon da mit
geballten Fäusten.
Arnes
Eltern schafften es endlich sich zu trennen und ließen sich
scheiden.
Da
keiner von beiden aber Arne wollte, ging der Vater von Pascal zum
Bürgermeister und setzte es durch, dass Arne bei Ihnen bleiben
durfte.
Arne
war nun der glücklichste Junge und dachte im Stillen, ob das wohl
der Wunsch von Mutter Erde für ihn war.
Pascal
wurde, wie nicht anders zu erwarten ein weltberühmter Geiger und
Arne?
Nun
der wurde … Geigenbauer!
Doch
die Freundschaft der Beiden hielt bis an ihr Lebensende.
©
Lore Platz 18.01.2019
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