Rena
und die lustigen Wörter
Die
alte Frau betritt das Wohnzimmer und sieht lächelnd auf das
friedliche Bild.
Ihre
Enkelin kuschelt in der Sofaecke, ein Buch vor der Nase, auf ihren
Füßen liegt eingerollt der dicke Kater Mohrle.
Die
junge Frau hebt den Kopf und lächelt ihr zu.
„Was
liest du denn da?“
„Ich
habe das Buch auf dem Speicher gefunden und es ist ja so lustig.
Die
Schriftstellerin heißt Hedwig Courths Mahler“
Die
Oma runzelt die Stirn.
„Als
junges Mädchen habe ich diese Bücher verschlungen, obwohl sie im
Internat nicht erlaubt waren. Doch irgendwie ist es einem der Mädchen
immer gelungen sie einzuschmuggeln.
Und
dann saßen wir auf dem Bett mit hochroten Wangen und Tränen in den
Augen und lasen die herzzerreißenden Geschichten. Aber ich kann mich
nicht erinnern, dass ein lustiges Buch dabei war.“
Rena
kichert.
„Die
Geschichte ist immer noch voller Herzschmerz, aber nicht nur der Stil
ist lustig, auch einige Wörter die vorkommen.
'Erlaucht'
das Wort habe ich noch nie gehört, wer spricht heute noch jemanden
so an.“
Die
Oma lächelt.
„Nach
dem ersten Weltkrieg hat der Adel ja auch seine Bedeutung verloren.“
Ihre
Enkelin grinst.
„Und
hier, der Notar öffnet mit wichtigem Blick das Testament des
'Erblassers,' als ich dieses Wort das erste Mal sah, las ich
Er-blasser, obwohl so ein Erb-lasser ist ja wohl auch sehr blass.“
Rena
will sich ausschütten vor Lachen und Mohrle maunzt verärgert,
streckt sich und rollt sich auf der gegenüberliegenden Sofaecke
zusammen.
Frau
Baumeister schüttelt den Kopf.
„Alte
Spottdrossel!“
Rena
grinst nur.
„Da
gibt es noch mehr so komische Wörter.
Der
Graf möchte eine schlichte einfache Hochzeit ohne Brimborium und
sein Schwiegervater gibt seiner Tochter das Anwesen als
Morgengabe.“
„Nun
das ist nichts anders als die Mitgift, die Bräute mit in die Ehe
bringen,“ erklärt ihre Oma, was bei Rena einen erneuten Lachanfall
auslöst.
„Das
ist auch so ein Wort. Die Braut bekommt das Gift gleich mit, wenn ihr
der Ehemann mal auf den Wecker fällt.“
Die
alte Frau schüttelt den Kopf, dann muss sie mitlachen.
„Naja
die Sprache hat sich im Laufe der Jahre verändert.“
Rena
wirkt nachdenklich.
„Du
weißt ja, dass ich als Kind die Bücher von Karl May verschlungen
habe und da waren viele französische Wörter.“
„Nun
in der Zeit, in der Karl May lebte, waren ja auch die
deutsch-französischen Kriege und das schlägt sich auch in der
Sprache nieder.
So
wie wir nach dem zweiten Weltkrieg unter amerikanischem Einfluss sind
und die englischen Wörter unsere Sprache unterwandern.“
Rena
überlegt einem Moment, dann lacht sie wieder.
„Um
nochmal auf das Buch zurückzukommen.
Die
Menschen darin sind ja so was von steif. Die Männer so wohlerzogen
und höflich, nach dem Motto 'errötend folgt er ihren Spuren'.
Und
die Mädchen so schüchtern und sie leiden mit niedergeschlagenen
Augen, brrrrr.“
Das
Mädchen schüttelt sich.
Frau
Baumeister lacht.
„Nun
die Geschichten spielen um die Jahrhundertwende und spiegeln diesen
Zeitgeist und die Erziehung wider.“
„Dann
bin aber froh, dass ich im Jahr 2017 lebe! Stell dir vor Omi, wenn
wir damals gelebt hätten, dann müsste ich dir jedes-mal, wenn ich
dich besuche und begrüße ehrfürchtig die Hand küssen, statt dich
in die Arme zu nehmen und liebevoll zu knuddeln. Und mit Uli müsste
ich ins Theater gehen, wo wir steif nebeneinandersitzen müssen und
nicht mal Händchen halten dürfen, denn es gab ja kein Kino.“
Wie
elektrisiert springt sie auf.
„Kino!
gleich kommt Uli. Er hat versprochen mit mir in den Film 'Es' von
Stephen King zu gehen. Ich muss mich fertig machen!“
Später,
als Rena von ihrem Freund abgeholt worden ist, geht Frau Baumeister
ins Wohnzimmer.
Sie
nimmt das alte Buch in die Hand, betrachtet es versonnen, setzt sich
auf ihren Lesesessel, nimmt ihre Lesebrille und beginnt zu lesen.
Mohrle
verlässt das Sofa, springt der alten Dame auf den Schoß, rollt sich
umständlich zusammen und beginnt zu schnurren.
©
Lore Platz 2017