Montag, 6. Februar 2023

Auch der letzte Lebensabschnitt hat noch schöne Stunden

 


 

 Auch der letzte Lebensabschnitt hat noch schöne Stunden


"Hast du meine Brille gesehen?", fragte Elli ihren Mann. Der grinste. "Du hast sie auf der Nase, liebe Elli!"
Elli grinste auch. "War ein Test!", sagte sie. "Ich wollte nur mal sehen, ob du mich ab und zu mal anschaust!"
"Das kann ja jeder sagen," schmunzelte Karl und betrachtete seine Frau liebevoll.
Wie gut sie noch immer aussah mit ihren sechzig Jahren.
Wenn er zurückdachte an seine Mutter, die ihm mit Fünfzig schon wie eine alte Frau vorgekommen war, kam er ins Grübeln. Er und Elli hatten ein wunderschönes Leben. Seine Mutter hingegen hatte ihr Leben lang nur gearbeitet, da sie ihn allein, ohne Vater, großgezogen hatte. War es ein Wunder, wenn sie dadurch schneller gealtert war? 
Sicher, allein schon die technischen Hilfen die heute Frauen zur Verfügung standen. Er konnte sich noch erinnern wie schwer allein der Waschtag für seine Mutter war. In großen Pötten die Wäsche kochen, dann herausziehen und in einem Waschbottisch immer wieder spülen.
Und heute warf man die dreckige Wäsche nur in die Maschine  und diese machte alles allein, man muss sie nur noch heraus holen und aufhängen oder gar in den Trockner werfen.
"Ach Elli, wir haben es doch gut, nicht wahr?", seufzte Karl und nahm ihre Hand. 
"Ja, Karl, das haben wir. Ich kann mich nicht beklagen!" Elli lächelte. Sie hatten wirklich ein gutes Leben.  Große Sprünge konnten sie sich nicht erlauben, aber sie hatten ihr Auskommen und das Wichtigste war: Sie liebten sich!
Und doch gab es etwas, das Elli unzufrieden machte. 

Seit die Kinder aus dem Haus waren fühlte sie sich gelegentlich unterfordert und es langweilte sie, dass die Tage sich glichen wie eineiige Zwillinge. 

Karl war seit ein paar Monaten als Rentner zu Hause und eigentlich war er immer da und wollte alles mit ihr zusammen machen. 

Das konnte schön sein, aber es engte sie auch ein in gewisser Weise. 
Früher hatte sie ihren eigenen Rhythmus im Tagesablauf, nun wuselte ihr Mann dauernd um sie herum. Obwohl sie ihn sehr liebte, störte es sie doch manchmal.
Irgendetwas musste sich ändern.
"Was hältst du davon, wenn wir beide einmal ein paar Tage verreisen?", fragte Elli. Karl schaute sie verwundert an.
"Du bist doch diejenige, die eigentlich ihr Zuhause nicht verlassen möchte, oder habe ich mich all die Jahre getäuscht?" 
"Das schon, aber wir beide stehen doch nun vor einem neuen Lebensabschnitt. Den sollten wir mit einer schönen Reise beginnen.
Mal abschalten und darüber nachdenken wie wir unser gemeinsames neues Leben gestalten wollen."
"Hm, eigentlich keine schlechte Idee."
"Dann streichen wir das Wort "eigentlich" mal aus unserem Vokabular und gehen die Sache gemeinsam an. Wohin sollen wir fahren?", lachte Elli. Sie stand auf und holte eine Zeitschrift aus dem Regal.
"Schau mal hier. Die bieten eine Reise für Senioren an, ganz billig, ein Wochenende in Konstanz, mit Besuch auf der Insel Mainau. Wäre das was für uns?" 
Karl studierte das Angebot, grinste und gab seiner Frau einen Kuss.
"Du bist die Beste! Weißt du ich war traurig als die Rente immer näher rückt, hatte Angst vor dem Leben nach dem Beruf. Aber nun zeigst du mir, dass es auch eine Chance ist, um all das nachzuholen, was man eingebunden in den Alltag nie machen konnte."
Elli sah ihn liebevoll an. "Verreist sind wir doch selten, anfangs fehlte es an Geld, dann kamen die Kinder und je mehr du in deinem Job aufstiegst, umso weniger Zeit hattest du und wolltest nur noch deine Ruhe."
"Es war ja auch anstrengend!", verteidigte sich Karl. "Doch, das ist ja nun Schnee von gestern. Lass uns nach vorn blicken!", schlug er vor.
Bereits eine Stunde später hatten die beiden die Reise gebucht und es begann die Zeit der Vorfreude. 
Einige Tage später dann warteten sie am Busbahnhof. 
Der Platz füllte sich mit immer mehr  Menschen in ihrem Alter.
Elli stieß Karl in die Seite.
"Sind das nicht Herr und Frau Baumgartner aus unserer Straße?"
Das Ehepaar hatte sie nun entdeckt und kam freudestrahlend auf sie zu.
"Wie schön bekannte Gesichter zu sehen."
Der Bus fuhr ein und zischend öffnete sich die Tür. Der Fahrer sprang heraus und begann das Gepäck zu verstauen.
Wenig später saßen alle im Bus. 
Das Ehepaar Baumgartner ergatterte einen Platz gegenüber von Elli und ihrem Mann.
"Wir haben uns ziemlich kurzfristig entschlossen, mitzufahren, denn nun da Peter im Ruhstand ist, haben wir uns vorgenommen öfter zu verreisen," erklärte Frau Baumgartner.
Elli nickte verstehend.
"Wir auch. Endlich mal Zeit für uns."
In Koblenz folgten sie wie Lemminge der Reiseleiterin ins Hotel. Bald hatten alle ihre Zimmer bezogen. 
Zum Abendessen traf sich die Reisegesellschaft im Speisesaal,bald 
hatten sich Gruppen gebildet und es war selbstverständlich, dass Baumgartners mit Elli und Karl zusammen an einem Tisch saßen.
Später bei einem Gläschen Wein tranken sie Brüderschaft.
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück ging es zum Landesteg.
Die Reiseleitern flatterte aufgeregt  um sie herum und drückte jedem die Fahrkarte in die Hand.
"Sie umkreist uns wie der Hütehund die Herde," kicherte Elli.
Linda, Peter und Karl grinsten.
Die Fahrt über den Bodensee war wunderschön und viel zu schnell vorbei.
Am Landesteg stand die Reiseleiterin und drückte jedem die Eintrittskarte in die Hand teilte ihnen mit, dass die Rückfahrt um achtzehn Uhr sei und sich die Gruppe hier am Landungsteg pünktlich einzufinden hätte.
Elli kam es vor als würde sie das Paradies betreten. Eine Vielfalt von Blumen in allen Farben breitet sich vor ihnen aus.
Mitten auf dem Rasen stand ein großer wunderschöner Pfau ganz aus Blumen geformt. 
Es gab noch mehr Kunstwerke, drei Entchen schwammen im Kreis in einem See aus Blumen. Ein Zwerg sah beschaulich in die Gegend und aus einem alten Auto wuchsen aus Motorhaube, Kofferraum und Fenstern grüne Pflanzen.
Die Männer witzelten, dass sie künftig ihr Auto nicht mehr verschrotten, sondern es in den Garten stellen und bepflanzen.
Sie schlenderten nun über die Insel, atmeten tief den Duft der Rosen, die es in 1000 Formen gab, ein. 

Daneben gab es Zitrusfrüchte und Dalien und auch alle Arten von Kakteen konnte man begutachten.
Die beiden Frauen zückten immer wieder die Fotoapparate und stießen bewundernde, begeisterte Rufe aus.
Die Männer aber begannen zu maulen, die Füße taten ihnen weh und sie hatten Hunger.
Also suchten sie eins der vielen Cafes auf.
Nach einem leckeren Essen, einem gemütlichen Glas Bier für die Herren und einer Tasse Kaffee für die Damen schlenderten die vier wieder über die wunderschöne Insel.
Es gab ja noch soviel zu sehen. 

 



Das Schmetterlingshaus gefiel auch den Herren, die der vielen Blumen doch leicht überdrüssig waren.
Bald war es Zeit zum Landesteg aufzubrechen und als sie mit dem Schiff über den Bodensee zurück nach Konstanz fuhren, waren sie sich einig einen  schönen Tag erlebt zu haben.
Später auf der Terrasse ihres Hotels bei einem Glas Wein gelobten sie sich, ihre Freundschaft auch weiterhin zu pflegen und gemeinsam kleine Reisen miteinander zu unternehmen.
Versonnen ließ Elli den Blick über den Bodensee schweifen und dachte:
'Auch der letzte Lebensabschnitt hielt noch schöne Stunden bereit.'

  Lore Platz





3 Kommentare:

  1. Ein wundervolle Geschichte Lore, gespickt mit vielen Weisheiten.Ja auch die Tage der Rente können schön sein! Man muß nur etwas daraus machen. Ich bekomme direkt Lust auf eine Reise !

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  2. Siehe oben liebe Lore. Dem ist nix hinzuzufügen!

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  3. Liebe Lore, du hast die Realität beschrieben, so ist es, keine Märchen! Grins! Lg Eva

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