Samstag, 25. Januar 2020

Der Sohn des Wassermannes Teil 4







Durch einen schmalen Felsenspalt gelangen sie hinaus aufs offene Meer.
Hier ist die Welt unter Wasser noch bunter.
Teppiche aus Seeanemonen, winzige Muscheln, leuchtend blühende Pflanzenstränge und Seesterne bedeckten die Steine, Mauerwerke und untergegangene Schiffe.
Ein Schwarm silbrig-brauner Fische huscht aus einem Seegrasgestrüpp.
Ein scharlachroter Fisch schoss unter einem Felsen hervor.





Eine Schildkröte paddelte träge an ihnen vorbei.
Als sich aus einem Loch im Riff ein dicker grantig ausschauender Kopf mit einem großen Maul heraus schob, klammert sich Lucinda voller Angst an ihren Mann.
Meeresheld lacht, „ das ist doch nur ein Zackenbarsch!“
Mit einer Handbewegung verscheucht er den Fisch.
Durch die Felsenspalte schwimmen sie zurück in den friedlichen See.
Im Kristallpalast erzählt Lucinda mit leuchtenden Augen von ihrem Ausflug und den Herrlichkeiten, die sie gesehen hat.
Perlweiß und Seerose lauschen lächelnd und auch Meeresheld betrachtet seine Frau voller Stolz und Liebe.
Nur Algengrün meint stirnrunzelnd:
Unsere Welt ist wunderschön, aber auch voller Gefahren, also verlasse niemals alleine den See durch die Felsenspalte.“
Lucinda errötet und alle Freude verschwindet aus ihrem Gesicht.
Sie fürchtet sich etwas vor dem strengen Wassermann.
Meeresheld will zu seiner Frau eilen, doch Algengrün verlässt den Raum und fordert ihn auf, ihm zu folgen.
Perlweiß setzt sich neben Lucinda und legt ihr den Arm um die Schultern.
Algengrün ist manchmal barsch, aber er meint es nicht so. Du brauchst keine Angst vor ihm zu haben.“
Die junge Frau lächelt schüchtern.
Merkt man das so deutlich?“
Perlweiß schmunzelt.
Mit den Gefahren hat er allerdings recht. Nicht alle Bewohner in der Unterwasserwelt sind freundlich.
Im schwarzen Meer wohnt Drisulla, die Meerhexe.
Sie hat alle untergegangenen Piraten um sich versammelt. Eine böse Bande, wehe dem der denen in die Hände gerät.
Aber keine Angst, solange du die Grenze nicht überschreitest kann sie dir nichts anhaben.“
Lucinda seufzt.
Ich muss noch soviel lernen, alles ist mir so fremd und ich möchte Meeresheld doch eine gute Frau sein.
Ach, ich vermisse meine Eltern und meinen Bruder.“
Perlweiß gibt ihr einen Kuss auf die Wange.
Du kannst deine Eltern jederzeit besuchen und du wirst sehen mit der Zeit wirst du dich in der Unterwasserwelt wie zu Hause fühlen.
Auch ich musste mich erst eingewöhnen und bei meinem Temperament war das gar nicht so einfach.“
Neugierig sieht Lucinda ihre Schwiegermutter an.
Dein Vater ist doch der Zauberer Hokuspokus, wie hast du Algengrün eigentlich kennengelernt?“
Perlweiß lehnt sich zurück und dreht gedankenverloren an ihrem Ring.






Ein zärtliches Lächeln liegt auf ihrem Gesicht.
Ja, mein Vater ist der Zauberer Hokuspokus und sein Schloss liegt mitten im Wald auf einem Berg, weit und breit kein Wasser.
Ich wäre Algengrün nicht begegnet, wenn mich meine Tante nicht eingeladen hätte.
Ich war froh, denn ich langweilte mich schrecklich zu Hause.
Mein Vater ist ja mehr Gelehrter als Zauberer und seit meine Mutter ins andere Reich gewechselt ist
wurden keine Feste mehr gefeiert.
Vater, der sehr traurig über Mamas Tod war vergrub sich nur noch hinter seinen Büchern.
Auch ich vermisste meine Mutter, aber ich war jung und wollte was erleben.“
Wie kam deine Mutter um?“
Perlweiß betrachtet traurig die Statue in der Halle, die von einem versunkenen Schiff stammt und ihre Gedanken schweifen in die Vergangenheit.
Es tat immer noch weh, obwohl soviel Zeit vergangen ist.
Meine Mutter war die Tochter des Windes und sie und mein Vater waren sehr glücklich.
Eines Tages, ich war noch ein kleines Mädchen, wurde ich auf einem Spaziergang von der Blitzhexe angegriffen.
Meine Mutter wollte mich beschützen und kämpfte mit der fürchterlichen Feuerhexe und wurde dabei getötet.
Ich konnte ihr nicht helfen, denn sie schickte mich weg, meinen Vater zu holen, doch wir fanden sie nur noch sterbend vor.“
Eine einsame Träne läuft über ihre Wange und Lucinda legt liebevoll ihren Arm um die Schulter.
Perlweiß lächelt.
Ich wollte dir ja erzählen, wie ich Algengrün zum ersten Mal begegnet bin.
Meine Patentante hatte mich eingeladen. 
Ihre Tochter ist ein dummes, boshaftes Ding, heute noch!
Ich hatte mich wieder einmal fürchterlich mit ihr gezankt und verließ schnell das Haus, bevor ich wütend wurde.“
Auf Lucindas fragenden Blick lächelt sie kläglich.
Wenn ich wütend werde, dann entsteht ringsum ein entsetzlicher Wirbel, ein Erbe meiner Verwandten den Winden.“




Lucinda lacht herzlich, es klingt wie eine helle Glocke.
Jetzt weiß ich, was der Kapitän eines Schiffes meinte, als er bei meinem Vater zu Besuch war.
Er sagte, dieses Mal hatten wir eine fürchterliche Fahrt, das ganze Meer bebte.
Die Frau des Wassermannes hat wieder schlechte Laune.“
Perlweiß lacht und ihre Augen funkeln.
Manchmal kann ich mein verflixtes Temperament nicht zügeln, doch nun zurück zu meiner ersten Begegnung mit Algengrün.
Ich lief also hinab zum See, um mich bogen sich die Bäume, Gräser und Blumen lagen flach, vom Wind gepeitscht.
Ich merkte es nicht.
Am See angekommen, lehnte ich mich an einen Baum und versuchte mich zu beruhigen.
Doch immer wenn mir die verletzenden Worte meiner Kusine wieder in den Sinn kamen, wallte die Wut erneut in mir auf.
Das Wasser des Sees kräuselte sich und warf wilde Wellen, die über das Ufer schwabbten.
Ich merkte es nicht, so sehr war ich von meinen wütenden Gedanken beherrscht.
Plötzlich stand ein Mann vor mir und funkelte mich zornig an.
Bist du von Sinnen,“ brüllte er, „ mein Palast bricht bald auseinander und meine Untertanen wirbeln hilflos im Wasser.“
Mit offenem Mund starrte ich ihn an und meine Wut war plötzlich verflogen.
Im Gegenteil, ich verspürte einen furchtbaren Lachreiz und prustet auch schon los.